Unverbrüchlich ist nur die Liebe zur Oma

In Fanny Wobmanns Roman „Am Meer dieses Licht“ sind Nachspüren und Aufbruch zentral

Von Renate Schauer

Es kann gelegentlich eklig sein mit der Großmama. Auch ist sie in manchen Momenten verwirrt. Doch dass sie von ihrer Enkelin in jeder Verfassung geliebt wird, steht außer Frage. Kontrastierend zur hingebungsvollen Begleitung am Krankenbett tritt die Eigenliebe der Ich-Erzählerin Laura ins Rampenlicht. Das eine Leben verlöscht, während das andere erblüht, sich vermehrt. So lässt sich Fanny Wobmanns zweiter Roman Am Meer dieses Licht grob skizzieren.

Kaum sind wir auf dreieinhalb kurzen Seiten der Oma nähergekommen, wechselt der Schauplatz und unser Blick wird auf einen nackten Jüngling gelenkt. Seine Schamhaare sind glatt, was die Protagonistin erstaunt. Um Himmels willen – welchen Spagat mutet uns dieser Roman zu? Zumindest sind die insgesamt 41 Kapitel lobenswert kurz, und die wenigen handelnden Personen leicht zu durchschauen. Für einige Episoden entführt uns die Ich-Erzählerin nach England und ans Meer, ihre Heimat ist jedoch La Chaux-de-Fonds im Hochjura der Schweiz, eine bekannte Uhrenstadt nahe der Grenze zu Frankreich.

Dort wurde die Autorin 1984 geboren. Und es drängt sich die Vermutung auf, dass das Jura-Klima und die Präzision in der Uhrenindustrie prägend für die Reduktion aufs Wesentliche beim Schreiben gewesen sein könnten. Da, wo es nötig ist, wird an Details nicht gespart. Zwischendurch hält der Roman angenehme Sprachbilder bereit – ein Beispiel: „Er hatte diese Art, die Wörter zu pflücken, bevor sie reif sind, und sie dann achtlos in einen bereits vollen Korb zu werfen.“

Sprachliche Poesie und Realitätsnähe sind in dem Roman gleichermaßen vertreten. Die Schilderungen und Monologe werden dem Alltag von jemandem, der seinem Ende entgegensieht, durchaus gerecht. Dennoch entsteht phasenweise der Eindruck, als würde etwas auf eine Leinwand projiziert, als würde uns etwas vorgeführt werden. Und zwar insbesondere Lauras Ich-Stärke, wenn sie parallel Neues in der Liebe ausprobiert. Die Distanz zwischen den beiden Polen – hier die Oma, dort Lauras eigenes Suchen und Fortkommen – mag ein legitimer Kunstgriff sein, um Spannung zu erzeugen. Erwartbar war aber überwiegend anderes laut Kappentext – nämlich, dass beide Frauen sich „einander öffnen und an die wesentlichen Dinge rühren“. Dies wird nur zum Teil eingelöst.

Es ist also eine eigenartige Distanz im Spiel, die eine Sicht von außen begünstigt und ihr manchmal zu viel Raum gewährt. Dieser Teil der Erzählung hätte knapper ausfallen dürfen, zu viele Nebensächlichkeiten sollen die Atmosphäre verdichten und einer gewissen Leichtigkeit Vorschub leisten, die der Roman trotz des Abschieds vom Leben behält. Doch es ist eine schmale Gratwanderung zwischen der Stärke und Schwäche solcher Kunstgriffe. Vor allem in den England-Passagen hätten Straffungen gut getan.

Die Passagen, in denen eine Verschränkung mit der Großmutter stattfindet, sind die interessantesten. Das Nachspüren, wer sie einst gewesen sein mag, ist überzeugend gelungen, die Nähe zu ihr ist zuweilen eindringlich dargestellt. Hingegen kann man lange nachdenken über die (Zwischen-) Überschriften, die das Buch in drei Teile gliedern, ohne zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Wahrscheinlich sollen hier Sehnsucht und Verlorenheit zum Ausdruck kommen. Beides schwingt in dem Roman mit, Laura weiß noch nicht so recht, wohin mit sich. Wie sie die Welt wahrnimmt – dafür findet die Theaterfrau Fanny Wobmann poetische Sprachbilder, die eine wunderbare Brücke ins Unfertige schlagen und dennoch glaubwürdig sind, sodass man ihnen gerne folgt.

Fanny Wobmann: Am Meer dieses Licht. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Lis Künzli.
Limmat Verlag, Zürich 2018.
148 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783857918469

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