Kittelschürze – das Symbol für Fleiß und Aufopferung

Sinnieren über Weiblichkeit

(RS) Das Rascheln des Kleides war etwas Ungewohntes. Es war das Kleid, dessen Oberteil
vorne mit Perlen bestickt war. Mutter zog es sehr selten an. Die Kittelschürze an ihr war mir
vertrauter. Alltags dominierte die Sorte aus Nylon, deren Farben und Muster das Gegenteil
von gefällig waren. Sonntags kamen die gestärkten aus Baumwolle zum Einsatz. Gemocht
habe ich keine.
Kittelschürzen waren praktisch für die Arbeit in Haus und Garten. „Treusorgend“ war das
Etikett, mit dem damals Frauen geadelt wurden. Damit musste frau keineswegs glücklich sein.
Staunend vernahm ich beispielsweise, dass Mutter die Rolle als Hausfrau nach der
Eheschließung zum Halse heraus hing wegen der ewig gleichen Handgriffe. Ihre Mutter
redete ihr gut zu, erzählte sie mir. Das sei das Los der Frauen, habe Oma gesagt. In mir löste
das eine heftige und lang anhaltende Rebellion gegen dieses Schicksal aus, was später in
politisches Engagement mündete.
Dass frau sich unter der Kittelschürze beliebig kleiden kann, ist ideal für Freiheitsliebende.
Nicht alle legten sie ab, bevor sie zum Einkaufen gingen. Meine Mutter zog sich jedoch für
die Öffentlichkeit um. Rock und Bluse, erst sehr viel später durfte es auch mal eine lange
Hose sein.
Mir erlaubte sie nicht, in einer Jeans zur Schule zu gehen, als dies für Mädchen immer mehr
üblich wurde. Schicklich für Mädchen fand sie höchstens Hosen mit Steg – die eigentlich nur
noch auf der Ski-Piste zum Outfit gehörten. Ich beneidete die Jungs.
Als ich noch nicht schulpflichtig war, entdeckte ich hinter einem Vorhang eine Tüte, die mich
sehr neugierig machte. Was ich daraus hervorzog, war rosa und fühlte sich weich an. Wie das
wohl schmeckte? Gerade noch rechtzeitig bog meine Mutter um die Ecke und entzog mir das
faszinierende Rätsel, bevor ich hineinbeißen konnte. „Das ist nichts für Dich!“, schalt sie
energisch. Aber worum es sich handelte, verriet sie nicht.
Erst Jahre später wurde ich aufgeklärt. Die altmodischen Methoden dem Monatshygiene
wären lohnend für einen extra Schwerpunkt. Und wieder beneidete ich die Jungs, die „sowas“
an ihrem Körper nicht zu berücksichtigen hatten. Es war ein Tabu – egal, ob frau damit
haderte oder nicht. Nur wir Mädels untereinander tauschen uns anfangs darüber aus. Es galt
als Punktsieg, wenn eine früher ihre Menstruation bekam als der Rest der Mitschülerinnen.
Sichtbar wurde es nur, wenn frau sich beim Sport ausklinkte und von einer Bank aus
Turnübungen oder Völkerball beobachtete. Doch Vorsicht: Klagte eine zu viel über
Bauchweh, brachte das Minuspunkte! „Stell dich nicht so an!“, war die weit verbreitete
Schmähung.
Vor diesem Hintergrund ist es erklärbar, dass für mich „treusorgend“, Kittelschürze und Blut
zu den Schwerpunkten der Weiblichkeit zählten bis ich der Schule entwachsen war und
andere Erfahrungen machte. Jedoch schlossen spätere Erfahrungen nicht aus, dass mir oft das
Los der Männer leichter vorkam. Man sprach damals überdies noch vom „starken“

Geschlecht, das durch die Bundeswehr „Schliff“ erfuhr und als Familien-Ernährer sich keine
Schwächen erlauben durfte. Die Welt schien eindeutig zweigeteilt. Nobelpreisträgerinnen gab
(und gibt!) es nur wenige, und was Frauen während des Krieges geleistet hatten (nicht nur die
Trümmerfrauen!), stellte man ungern und daher selten ins Licht der Öffentlichkeit.
experimenate 3/2024
Magazin für Literatur, Kunst und Gesellschaft
Herausgegeben von: INKAS – Institut für Kreatives Schreiben
im Netzwerk für alternative Medien und Kulturarbeit e. V.