Ziemlich erfolgreich muss der Komödien-Autor Bruno gewesen sein, denn er kann von seinen Tantiemen auf einer kleinen Insel im Mittelmeerraum leben und in aller Ruhe die Widrigkeiten der Welt reflektieren. Adressat seiner Eindrücke und Gedanken ist sein Freund Richard. Jörg W. Gronius legt mit „Last Call“ einen monoperspektivischen Briefroman vor, bei dem wir seinem Protagonisten von April 2009 bis August 2011 über die Schulter und ins Gemüt schauen dürfen.
„Ich wache keinen Morgen auf, ohne …
an den Tod zu denken.“ Dieser Satz gibt im ersten Brief schon das Thema vor, um das sich vieles rankt. Weg von der Bühne, vom Rampenlicht samt gesellschaftlichem Trubel, herausgestohlen aus allen Verbindungen, sucht der Blick das Wesentliche und nimmt Missstände wie Widersprüche auf die Schippe, immer wohl gesetzt an jener Miesepetrigkeit vorbei, die Bruno in Deutschland hinter sich gelassen hat.
Es dauert ein paar Kapitel, bevor man dem Reiz der Enthüllungen vertrauen mag. Denn Bruno denkt selbstverständlich auch „an den Tod all dessen, was von unserer Kultur noch übrig ist.“ Wird hier Nihilismus zelebriert, der sich ins Allgemeine verlieren könnte? Das weiß Jörg W. Gronius, der unter anderem als Dramaturg tätig war und 2007 den Ben-Witter-Preis erhielt, geschickt zu umgehen. Gott sei Dank gibt es auch keine aufgeblasene Erregung über Unabänderliches, wohl aber Zorn und Spott. Kritik vollzieht sich meist leise, wenn auch nicht immer politisch korrekt. Die Melodie des Romans bleibt heiter-betrübt. Diese Kombination ist unterhaltsam bis zum Ende.
Viele Menschen sterben in dem Roman – Brunos Vater, geschätzte Weggefährten, Menschen auf der Insel. Das Leben ist endlich, dem Prinzip „Stirb und werde“ entkommt niemand. Das macht traurig, hat jedoch gleichzeitig etwas Beruhigendes. Und Bruno, der anfangs nach Kriegsschiffen Ausschau hält, korrigiert sich im November 2010: „Der Untergang wird sich doch etwas anders vollziehen, als ich es mir zunächst vorgestellt hatte.“ Trotzdem blickt er weiterhin aufs Meer und lässt das südliche Flair in seine Mitteilungen an Richard mit einfließen.
Wasser und Wellen inspirieren zu anschaulicher Poesie: „Wenn die flach auflaufenden Wellen meine Füße umspülen, ist das Meer wie ein Erzähler, der den Unterarm des Zuhörers ergreift, um bei ihm noch intensivere Aufmerksamkeit zu wecken.“ Als Kontrast ernüchtern hingegen die Reisen nach Deutschland. Stärkster Gegenpol ist der Vater. Er konnte verhöhnen: „Junge, du siehst aus wie eine Flasche. Hast keine Schultern.“ Damit war klar, Bruno würde nichts schultern können. Der alte Konflikt zwischen Hand- und Kopfarbeitern wird treffend beschrieben. Als neu erlebt Bruno, der angeblich Nutzlose, dass ihm sein Vater fehlt und immer wieder nahe kommt nach seinem Tod.
Bruno, der über Abschied und Vergehen philosophiert, kann letztlich die selbstgewählte Einsamkeit der Insel und die Gemächlichkeit des Mittelmeeres gegen einen neuen Lebensabschnitt am rauhen Atlantik eintauschen. Obwohl er meint, dass Männer eigentlich im Grunde ihres Herzens immer bleiben wollen, denn der „Last Call“ im Flughafen gilt nach seinen Erfahrungen ganz selten einer Frau. Zum Aufbrechen gehört das Loslassen, das angesichts des Verlusts von Weggefährten geübt werden muss. Gronius erwähnt unter anderem namhafte Kulturschaffende, die zwischen 2009 und 2011 betrauert werden mussten und widmet sein Buch in memoriam Roland Buhles, dem Mitbegründer und Verleger des Conte Verlages.
Jörg W. Gronius: Last Call. Ein Roman in Briefen.
Conte-Verlag, St. Ingbert 2013, 288 Seiten, 19,90 EUR. ISBN-13: 9783941657816