Zu Weihnachten nach Florida? Immer noch rümpfen manche Zeitgenossen hierzulande die Nase, weil es ihnen „unnatürlich“ erscheint, den Winterpelz gegen Strand-Shorts zu tauschen und dem Schneeschippen zu entkommen. Nach Florida zum Oktoberfest? Konfrontiert man damit einen Nichteingeweihten, purzeln erst recht viele Fragezeichen aus seinen Augen.
Dabei sind Oktoberfeste in Florida weit verbreitet und haben mancherorts sogar Tradition! So feierte der Deutsch-Amerikanische Club (GASC) heuer sein 20. Oktoberfest: „Munich in Cape Coral“ titelte die vereinseigene Fest-Zeitung und betont: „The music never stops in the Great Tent“ (durchgehend Musik im großen Zelt).
Apropos Zelt: darüber behielten die Fest-Organisatoren letztlich nicht die Regie. Die riss Wilma an sich, als sie quer übers Land nach Miami zog. Das Zelt – vom Hurrikan verweht – fehlte am 2. Fest-Wochenende, doch dank des schönen Wetters wurde dieses trotzdem ein Erfolg. Irgendwelche Blessuren? Die Stadtkapelle Gundelfinden, die mit 34 Musikerinnen und Musikern angereist war, um deutsche Stimmung so originalgetreu wie möglich zu verbreiten, nahm die geringfügigen Beeinträchtigungen gelassen. Zwei Tage habe im Quartier der Strom gefehlt, aber man hatte vorher rechtzeitig Eis beschaffen können. Und solange die Toilettenspülung nicht funktionierte, behalf man sich eben mit Wasser, das man mit Eimern aus dem Swimmingpool schöpfte. Beschwichtigende Gesten verrieten: alles halb so schlimm, kein Grund zur Besorgnis oder gar zu Schreckensmeldungen.
Die gute Laune schien jedenfalls niemandem verdorben – nicht den Akteuren und auch nicht den Besuchern. Die strömten am zweiten Festwochenende in Scharen herbei! Dabei machten schon die Ankömmlinge mit dem Organisationstalent des Clubs Bekanntschaft: Sie wurden auf dem großen Areal in Ruhe und Gelassenheit zu den Parkplätzen geleitet. Für Gäste mit Gehbehinderungen gab es selbstverständlich freie Fahrt bis vors Eingangstor. Fürsorgliches Miteinander lag in der Luft. Und natürlich „Gemütlichkeit“.
Dieses Wort bedarf bekanntlich in Amerika keiner Übersetzung, ebenso wie „Sauerkraut“, das hervorragend mundete. Dazu passt, dass sich Evergreens wie „Die kleine Kneipe“ und der Stimmungklassiker „Chicken Dance“ (Ententanz) großer Beliebtheit erfreuen. Die Gundelfinger Musiker, insgesamt mehr als 30 Stunden im Einsatz, registrierten sogar eine neue Aufgeschlossenheit: „Im Gegensatz zu früheren USA-Gastspielen werden nun auch neue deutsche Blasmusikkompositionen wohlwollend vom Publikum aufgenommen.“
Bei weitem sind nicht alle, die das Oktoberfest gut finden, deutschstämmig oder deutschsprachig. Auch wenn man gehäuft (Filz-) Hüte mich Federschmuck trifft und der Gaudi wegen auch vereinzelt Pickelhauben aus Kunststoff aufgesetzt werden. Die beiden Amerikanerinnen am Tisch, die gerne lebhaft im Takt mitklatschten, meinten, ihnen gefalle es so gut, dass sie jedes Jahr kämen, obwohl sie kein Deutsch verstünden. Und bald drehten sie miteinander auf der Tanzfläche einige Runden. Tanzen ist hier eine Bewegungsart, in die ganz locker übergewechselt wird. Hat man Lust auf Drehung und Schwung, wird einfach mitgemacht.
Das war auch in Oldsmar, nahe Tampa, zu beobachten. Auch hier strömten die Festfreudigen in Scharen, bezahlten ihren Eintritt – bereit, sich deutscher Kost und deutschen Unterhaltungsritualen zu überlassen. Auch hier gab es immer wieder das „Prosit der Gemütlichkeit“ und beim „Zickezacke zickezacke – heuheuheu“ usw. stand Wohlwollen in den Gesichtern. Schuhplattler wurden genau so mit Applaus goutiert wie holzsägende Maiden. Würstchen und Kartoffelsalat fanden Zuspruch wie auch der Rummelplatz mit allerlei Fahrgeschäften nebenan. „Sie kommen aus Deutschland?“ Das Erstaunen darüber hielt sich in Grenzen, gleichwohl kannte jede und jeder jemanden aus München, Mannheim oder oberhalb der Mainlinie. Wie in Cape Coral spielten Herkunft und Sprache keine Rolle – Hauptsache, die „Gemütlichkeit“ spiegelte sich positiv wieder.
Der deutsche Club in Oldsmar bot auch Nichtmitgliedern Beteiligungsmöglichkeit mit einem Stand. Bei Gaudi-Festen in Deutschland darf man Wurf-, Schieß-, Glücks- und Fressbuden erwarten, hier aber waren die unterschiedlichsten Anbieter – vom Klamottenhändler über Künstler bis hin zur Fluggesellschaft (sogar ein Hörgeräte-Spezialist war dabei) – vertreten. Eine kleine und muntere Gesellschaft, darunter die Deutsche Funksendung, die es seit 40 Jahren in Tampa gibt. Seit 1965 werden jeden Sonntag zwischen 13 und 14 Uhr Nachrichten, Musik, Interviews und Kulturtipps in deutscher Sprache verbreitet. Susanne Nielsen, die Chefin der „German Radio Show“, bekommt viele Rückmeldungen von ihrer Fan-Gemeinde und ist natürlich immer am Ball, wenn es um Bedürfnisse und das Lebensgefühl Deutscher bzw. Deutschstämmiger in Florida geht.
Laut Burkhard Linke / Enterprise Florida Germany in München leben ungefähr 100.000 Deutsche mit festem Wohnsitz in Florida. Und trotz der gefürchteten Hurrikans kommen auch immer mehr Touristen nach in den Sunshine State – 2004 waren es allein 265.000 aus Deutschland (17,8 Prozent mehr als 2003).
Harold Bajusz, Präsident des GASC (976 Mitglieder, noch 40 Prozent sprechen deutsch), bestätigt die Beliebtheit deutscher Feste. An Fasching gibt es in Cape Coral einen Prinzenball, im Frühjahr Gartenfeste, der Deutsch-Amerikanische Tag wird am 6. Oktober gefeiert. Während die Älteren Club-Mitglieder in den 50er Jahren ausgewandert sind – in Deutschland war damals nicht leicht Arbeit zu finden – , gibt es auch junge Zugezogene. Ein gutes Beispiel ist die Ms. Oktoberfest 2005, Christina Kaiser-Bryant, 21. Sie ist in München geboren und aufgewachsen. Als sie 14 Jahre war, ging sie mit ihrer Mutter nach Cape Coral. Der Zeitschrift „Florida Sun“ erklärte sie: „Deutschland wird immer meine Heimat bleiben, obwohl ich nie wieder dort war. Trotzdem denke und fühle ich wohl sehr deutsch.“