Dr. Bärbel Kerber ist als Journalistin auf vielen Themenfeldern unterwegs. Im Dezember 2006 gründete sie das Internet-Magazin misstilly.de, wo ihr die Politikwissenschaftlerin Gabriela Häfner redaktionell zur Seite steht. Nun haben die beiden Frauen jene unauffälligen „MiterzieherInnen“ untersucht, die auf das Verhalten von Jungen und Mädchen Einfluss nehmen. Herausgekommen ist das Buch „Das innere Korsett: Wie Frauen dazu erzogen werden, sich ausbremsen zu lassen.“
Ich fragte Bärbel Kerber nach Hintergründen und Ausblicken:
Renate Schauer: Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten überrascht?
Obwohl ich mit dem Thema schon relativ lange unterwegs bin, hat mich eine Langzeit-Studie alarmiert, die zutage brachte, dass Mädchen im Teenager-Alter plötzlich ihr Selbstbewusstsein verlieren. Es hat mich völlig überrascht, weil ja das Bild von den sogenannten Alphamädchen stark in den Vordergrund getreten ist, gepaart mit den Berichten darüber, dass die Mädchen in der Schule mit ihren guten Noten die Jungs abhängen. Da stieg ich mit Gabriela Häfner, meiner Co-Autorin, in die Recherche ein. Je mehr Material wir in die Hände bekamen, desto erstaunter waren wir. Zuvor dachten wir, wir wären schon weiter.
Was steckt dahinter?
Das Rollenbild der Frau ist heute immer noch sehr traditionell: Du sollst schön und hilfsbereit sein, dich nicht so in den Vordergrund drängen, deinen Platz der zweiten Reihe suchen.
Das umfangreiche Quellenstudium ist beeindruckend. Auf den Seiten 181 bis 217 ist in dem Buch aufgelistet, woraus Ihr Euch gespeist, was Euch inspiriert hat.
Wir hätten sogar noch sehr viel mehr Quellen anzapfen können. Aber irgendwann mussten wir uns beschränken. Es war uns wichtig, untermauern zu können, was wir beobachtet und herausgefunden haben. Wir haben uns nichts ausgedacht.
Foto: Autorinnen
Es liest sich sehr interessant …
Das freut uns! Wir wollten keine wissenschaftliche Abhandlung schreiben, sondern aufrufen: Leute, guckt genau hin. Es ist noch so viel zu tun. Man muss immer wieder darauf hinweisen, wo es mit dem Rollenverständnis im Argen liegt.
Das ist aber schon länger bekannt. Warum also noch mal ein Buch?
Die Gefahr besteht, dass Debatten über Frauenquote oder Kita-Plätze blenden. Natürlich sind solche Forderungen bzw. Errungenschaften wichtig. Doch die Annahme, dass man Strukturen ändert und damit die Gleichberechtigung durchbricht, hat sich nicht bewahrheitet.
Also zurück zur individuellen Ebene?
Nicht anstelle der Struktur-Verbesserungen! Aber solange Frauen sich selbst nicht als intelligent wahrnehmen, sozusagen ihr Licht unter den Scheffel stellen, wird es keine Erfolgsgeschichte. Beredtes Beispiel sind die T-Shirts, mit denen Schülerinnen bekunden: „In Mathe bin ich Deko“.
Wir berühren Klischees!
Leider. Das ist nicht zu vermeiden. Weil es eben nicht abwegig ist, dass selbst eine emanzipierte toughe Frau dennoch auf einer unterschwelligen Ebene voller althergebrachter Denkweisen ist, die ja von außen immer wieder bestätigt oder gar verstärkt werden – etwa durch die Erwartungen des Umfelds, durch die Medien oder die Werbung. Frauen, die undifferenziert als die lieben, netten Wesen gesehen, ja darauf reduziert werden. Wenn sie mal laut werden, spricht man von „Zicken“; werden Männer laut, gelten sie als durchsetzungsfähig.
Aber es gibt doch Gegenwehr!
Ja, ich finde es ganz toll, dass jüngst auch immer wieder Schauspielerinnen in Hollywood Rechte reklamieren. Sie wollen nicht länger hinnehmen, dass Frauen weniger verdienen als die Männer, dass viel weniger Spielfilme von Frauen gedreht werden, unter anderem weil die Fördermittel nicht in gleichem Maße an Filmemacherinnen verteilt werden usw.
Okay, die Prominenz wird zur Kenntnis genommen …
Unser Part in dem Buch ist es, auf die Denkmuster hinzuweisen, sie der Selbstverständlichkeit zu entkleiden. Denn die Zuweisung von Rollenmustern ist schlimmer geworden. Man denke nur an Spielwarengeschäfte. Die Angebote für Mädchen und Jungs sind strikt getrennt und meist auch farblich sehr deutlich gekennzeichnet. Für Jungen ist es tabu, sich in der Rosa-Abteilung umzusehen! In unserer Kinderzeit gab es viel mehr Spiele, die für beide Geschlechter geeignet waren.
Um die Zeichen kommt man nicht herum?
Nein, es trifft ja ein Alter, in dem man unbedingt dazu gehören will. Für Kinder ist es wichtig, sich daran zu orientieren, wie machen es denn die anderen. Es wäre beschämend, in der „falschen“ Gruppe zu landen. Der Rahmen, was möglich und was falsch ist, ist viel enger gezogen als früher. Die Stereotypen werden deutlicher präsentiert und damit fast diktiert.
Gibt es nicht genügend alternative Angebote?
Man orientiert sich an dem, was da ist, was als Normalität auf einen einströmt. Facettenreiche Vorbilder weiten natürlich den Horizont. Doch geprägt werden wir ja zuerst als Heranwachsende. Der Einfluss der eigenen Eltern – sollten die von den Stereotypen abweichen oder gar ein Gegengewicht verkörpern – nimmt aber mit zunehmendem Alter ab. Es gibt eine Menge „heimliche Erzieher“, die wir bewusst machen wollen.
Wie wirke ich denen entgegen?
Ich kann meine eigenen Schubladen und mein Verhalten kontrollieren. Also nicht das Typische fördern bei meinen Kindern. Beispielweise Mädchen nicht automatisch ins Ballett schicken, sondern eine breitere Gestaltung des Lebens aktiv präsentieren. Nicht das unsichtbare Korsett unterstützen, indem man unreflektiert Äußerlichkeiten fördert, was man schon mit unbedachten Komplimenten tut. Wer immer hört „Du bist aber hübsch“, lernt das Hübschsein wichtig zu nehmen …
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Kerber!
Kurzvita Autorinnen:
Bärbel Kerber ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und arbeitet als freie Journalistin und Buchautorin. Gemeinsam mit Gabriela Häfner betreibt sie das Frauenonlinemagazin misstilly.de, das überholte Geschlechterklischees infrage stellt. Gabriela Häfner ist studierte Kultur- und Politikwissenschaftlerin und arbeitet als freie Journalistin und Übersetzerin. www.baerbel-kerber.de / misstilly.de
„Das innere Korsett – Wie Frauen dazu erzogen werden, sich ausbremsen zu lassen“
Bärbel Kerber und Gabriela Häfner
C.H.Beck-Verlag, 2015, 217 Seiten
ISBN 978-3-406-67529-4