Von Renate Schauer
lieben wollen, obwohl man ihn nie kennen gelernt hat. Noch dazu einen Vater, der unfassbare Verbrechen beging, dafür 1946 verurteilt und gehängt wurde. Doch da war ja auch die Mutter, die sich nachträglich (!) mit ihm „vermählen“ ließ, als bereits feststand, dass mit seinem Namen vor allem Schmach zu erwarten war. Die Rede ist von Ruth Irene Kalder und von ihrer Tochter Monika Göth, 1945 geboren.
Matthias Kessler interviewte die Tochter des Kommandanten des Arbeitslagers Plaszow bei Krakau, bekannt geworden durch den Kino-Film „Schindlers Liste“. Kein Buch hat je ehrlicher auf mich gewirkt. Es behandelt ein drastisches deutsches Schicksal ohne auch nur ein Härchen voyeuristisch zu sein. Selbstverständlich enthüllt sich darin nicht, warum der Vater so war, wie er offenbar gewesen ist. Oder was letztlich die Mutter wirklich an ihn band. Aber solche intimen Dinge enthüllen sich gewöhnlich selten. (Oft genug auch dann nicht, wenn die Betroffenen sich selbst Rechenschaft darüber ablegen wollen.)
Amon Göth soll 500 Juden eigenhändig erschossen haben. Monika ist seine uneheliche Tochter. „Ich muss doch meinen Vater lieben, oder?“ – der Titel des Buches könnte nicht besser gewählt sein, denn er macht neugierig, was hoffentlich hilft, Scheu und Skepsis zu überwinden. Denn die Lektüre verengt sich nicht auf Fragen um Amon Göth, sondern zeigt die Belastungen durch verdrängte Vergangenheit.
Als Baby wird Monika im Kinderwagen von einem Unbekannten mit einem Messer schwer verletzt. Als Teenager beginnt sie Fragen zu stellen, und stößt bei ihrer Mutter stets auf eine Mauer des Schweigens. Erst Anfang der 80er Jahre, als ihre Mutter dem englischen Fernsehen ein Interview gibt, bestätigen sich Monikas Ahnungen. Am nächsten Tag ist ihre Mutter tot, sie hat sich mit Schlaftabletten vergiftet. Monika begann, über die Geschichte des Dritten
Reichs zu lesen und Informationen über Amon Göth zu suchen. Sie holte das Abitur nach und studiert heute Alt-Hebräisch.
Schonungslos sich selbst gegenüber berichtet Monika Göth von ihrem Kampf mit der Mutter, von psychischen Problemen, die sie zu Unrecht in die Psychiatrie führen, von den Schlingerkursen in ihrer ersten Ehe. Dank Kesslers einfühlsamen Interview-Experiments werden glaubhafte Emotionen und Erinnerungen offen gelegt.
Matthias Kessler.