Von Renate Schauer
Würden Sie einen Hoffnungsträger auf einem Recylinghof suchen? Spätestens mit dem jüngsten Roman von Jens Steiner wird klar: Diese Spezies hat nicht zwangsläufig mit Schlips und weißem Kragen und lukrativer Karriere zu tun. Abseits imageträchtiger Rennbahnen gibt es auch den leisen, unauffälligen Typus, der genau beobachtet und hinter die Dinge schaut, der sich einfügt und trotzdem philosophischen Überlegungen Raum gibt. Zukunftsbezogene Zielstrebigkeit muss nicht sein. Das Leben im Hier und Jetzt bietet genug spannende Gelegenheiten, sowohl Zusammenhänge als auch Gegensätze sinnstiftend einzuordnen und gegebenenfalls zu lenken. Steiners Roman Mein Leben als Hoffnungsträger generiert Sympathie für die Generation „Weiß noch nicht“.
Philipp, das Kind eines „Gutmeiners“, der wegen seines Putzfimmels aus seiner WG fliegt, weiß nach seiner abgebrochenen Mechatroniker-Lehre keine neue Richtung einzuschlagen. Seit er Uwe, den Chef des Recyclinghofes, kennt, ergibt fast alles einen Sinn. Uwe zeigt und erklärt ihm alles. In gemächlicher Ruhe treffen auch die Kollegen Arturo und João, zwei Portugiesen, auf jene Menschen, die bei ihnen abladen, was sie nicht mehr brauchen oder aufbewahren wollen.
Natürlich lassen sich unter der Kundschaft auch immer wieder solche ausmachen, die nicht recht Maß halten können und in Gefahr sind, am Überfluss zu ersticken: „Es ist die Fülle von Waren, die die Leute besoffen macht.“ Doch alle werden unterschiedslos höflich und zuvorkommend behandelt, sollen sich wohlfühlen und bestenfalls das Wesen des Recylinghofs begreifen. Da gibt es sogar Trost und Zuspruch, wenn eine Button-Sammlerin („Dreißig Jahre Arbeit“) sich von den Symbolen ihrer Anteilnahme an der Welt, an politischen Bewegungen („Atomkraft? Nein danke!“) und Moden trennen muss, weil diese dem Ehemann ein Dorn im Auge sind.
Philipp sammelt nichts – im Gegensatz zu Arturo und João, die Diverses abzweigen, um einem kleinen Nebenerwerb zu frönen. Sie weihen ihn ein, doch ihm ist nicht wohl dabei, denn jedes Geschäft strebt nach Wachstum beziehungsweise nach der „Weltherrschaft“. Philipp aber „will keine Herrschaft“, er „will im Dunkeln Dickicht der Gegenwart bleiben“. Lieber verkehrt er „mit der Amsel und der Bachstelze auf gleichem Fuß, sammle Silberpapiere und lache gemeinsam mit den Dingen über die Menschen und ihr Tun“.
Doch wirklich hochtrabende Pläne haben Arturo und João auch nicht. Die Grundschwingung erinnert an das Hobellied in dem Wiener Volksstück Der Verschwender: Das Schicksal hobelt alle gleich – davon solle man sich laut João aber nicht die Laune verderben lassen. Philipp nimmt das auf und erklärt damit seiner Freundin Mila den Sinn des Lebens. Obwohl alle eingeholt werden vom Gehobeltwerden, fasst Philipp Vertrauen in seine Möglichkeiten und geht seinen Weg. Er wird sozusagen sein eigener Mentor und Hoffnungsträger. Welch ein Happy End für einen, der nie nennenswerte Ambitionen hegte!
Es ist der vierte Roman Jens Steiners, der 2013 mit Carambole den Schweizer Buchpreis gewann. Schon sein Debüt Hasenleben fand viel Beachtung und stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2011. Mit Mini-Dosen Humor gelingt es ihm in diesem Roman um die Generation Y, eine Erwartungslosigkeit zu zeichnen, die ungeahnt Spannendes in sich birgt. Dazu di
enen ihm Perspektiven, die selten so kommuniziert werden, und Begebenheiten, die niemals zu einer Skandalisierung taugen würden. Das alles ist sehr feinsinnig formuliert – meistens entlang an einer gewissen Leichtfüßigkeit, die jedoch jede Oberflächlichkeit aussperrt. Gesellschaftskritik? Sie kann als Nebeneffekt abgeleitet werden aus den unterhaltsamen Geschehnissen, denen der Protagonist Philipp die Erkenntnis zur Seite stellt, dass wir viel zu nachsichtig mit dieser Welt seien.
Jens Steiner: Mein Leben als Hoffnungsträger. Roman. Arche Verlag, Hamburg 2017. 190 Seiten, 18,00 EUR. ISBN-13: 9783716027646 |